Wie stellst Du dir die Pflege der Zukunft in Bielefeld vor?

Mit dieser Frage konfrontieren wir die Bielefelderinnen und Bielefelder seit April 2022. Um Meinungen aus der Praxis zu bekommen, sprechen wir mit engagierten, aktiven und erfahrenden Menschen, die täglich in unterschiedlichen Institutionen, Organisationen und Einrichtungen im Einsatz sind und ein breites Wissen aus ehrenamtlicher und nicht-ehrenamtlicher Arbeit mitbringen.

 

Den Startschuss der Interview-Reihe gibt Helmut Breitkopf. Der 74-Jährige ist ehrenamtlich in der Quartiersarbeit der Arbeiterwohlfahrt in Bielefeld-Schildesche tätig und wohnt in einer Wohnanlage des Bielefelder Modells in Schildesche.

Herr Breitkopf, Sie wohnen seit 2014 im Quartier Bielefeld-Schildesche und sind seit 2017 ehrenamtlich dort engagiert. Wie sind Sie dazu gekommen?

Nach meiner Verrentung wollte ich wieder zurück in die Stadt ziehen, in der ich bis 1984 gelebt, studiert und gearbeitet habe. Ich habe mich über verschiedene Wohnformen informiert und dann für das Bielefelder Modell in Schildesche entschieden. Ehrenamtlich unterwegs war ich bereits viele Jahre während meiner beruflichen Tätigkeit. Allerdings standen meine Aktivitäten immer im Zusammenhang mit meiner beruflichen Arbeit. Ich wollte etwas Neues machen. Jetzt habe ich Ehrenämter gewählt, die fern von meiner früheren beruflichen Tätigkeit sind und engagiere mich hauptsächlich in der Quartiersarbeit. Quartiersarbeit kannte ich bis 2017 nur vom Namen her.

Was genau bedeutet denn Leben und Arbeiten im Quartier?

Die meisten Menschen haben nur eine unklare Vorstellung von einem Quartier. Das definiert auch jeder für sich ein wenig anders. Das Leben im Quartier sowie die Quartiersarbeit begrenzt sich nicht auf eine Wohnanlage, sondern bezieht das nähere Umfeld mit ein. Ziel der Quartiersarbeit ist es u.a., den Menschen ein Gefühl für ihre Nachbarschaft zu geben, sie zu ermutigen, sich für ihre eigenen Interessen einzusetzen und wechselseitig füreinander da zu sein.

Welchen Beitrag kann bürgerschaftliches Engagement zur Verbesserung der Situation Pflegebedürftiger leisten?

In der Quartiersarbeit in Schildesche sind zurzeit über 30 Ehrenamtliche tätig. Die Angebote richten sich an alle Menschen in der Umgebung. Auch Senior:innen mit und ohne Pflegegrad profitieren davon. So hat sich zum Beispiel die Arbeitsgruppe Verkehr erfolgreich für die Absenkung von Bordsteinkanten oder die Einrichtung einer Tempo 30 Zone im Quartier eingesetzt. Zudem werden regelmäßig Freizeitangebote wie Kreativtreffs, Mal- und Literaturgruppen, Bingo oder Kaffee- und Kuchennachmittage durchgeführt. Wichtig sind auch die ehrenamtlich erbrachten Beratungen zur Erstellung einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht. Diese Unterstützungsangebote werden durch geschulte Bürger:innen ortsnah im Quartier geleistet.  Auch diese Angebote bereichern ebenfalls das Leben von Pflegebedürftigen. Darüber hinaus ist das Quartier Schildesche Digitaler Erfahrungsort (Initiative der Bundesarbeitergemeinschaft der Seniorenorganisationen). Hier richten sich die Aktivitäten auf den digitalen Kompetenzerwerb hochaltriger Menschen.

Unmittelbar profitieren Pflegebedürftige von einer hospizlichen Quartiersbegleitung, die mit ehrenamtlicher Unterstützung erbracht wird. Sie setzt früher an als die traditionelle Hospizarbeit und versteht sich als Lebens- und Sterbensbegleitung, die vertrauensvoll Quartiersarbeit mit der ambulanten Hospizarbeit verbindet.

Wie sieht Ihre tägliche Arbeit im Quartier aus?

Ein Arbeitsschwerpunkt von mir ist gegenwärtig die Vermittlung digitaler Kompetenzen für ältere zum Teil auch hochaltrige Menschen. In einem Team von 8 Ehrenamtlichen bieten wir 14-tägig Einzel- und Gruppenschulungen an. Nicht mobile Personen, die i.d.R. pflegebedürftig sind, werden auch zu Hause besucht. Wir orientieren uns dabei streng an den Interessen und Lebenswelten der Menschen. Oft geht es nicht darum, alle Funktionen eines digitalen Endgeräts zu verstehen und zu nutzen. Es ist schon viel erreicht, wenn es gelingt, einen Messenger Dienst kompetent zu nutzen. Für mich ist es wichtig zu vermitteln, dass digitale Kompetenz helfen kann, Teilhabechancen der Menschen zu erhöhen.

Warum engagieren Sie sich ehrenamtlich? Ist es nicht auf Dauer auch belastend, in dem Umfeld ehrenamtlich tätig zu sein, in dem Sie auch wohnen?

Ich empfinde meine Tätigkeit überhaupt nicht als Belastung, im Gegenteil. Mir macht die Arbeit Freude. Sie bietet mir auch Gestaltungsmöglichkeiten in einem wichtigen Feld der sozialen Arbeit. Ich habe dadurch viele interessante und wertvolle Menschen kennengelernt, sowohl, Menschen die Hilfe benötigen als auch andere Engagierte. Das bereichert mich persönlich und ist mein Motor für die ehrenamtliche Arbeit.

Ihr Ausblick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für die Pflege der Zukunft?

Ich wünsche mir eine Pflege, die stärker ehrenamtliche, nachbarschaftliche und Potentiale von Angehörigen einbezieht. Das Zusammenspiel dieser informellen Hilfen mit der professionellen Pflege kann durch Quartiersarbeit organisiert werden, sofern dieser verlässliche und ausreichende personelle Ressourcen zur Verfügung stehen. Ferner sollte Quartiersarbeit auch als Aufgabe von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen begriffen werden.

Ehrenamtliche im Quartier mischen sich nicht in das konkrete Pflegegeschehen ein. Sie übernehmen auch keine pflegerischen Aufgaben, die das hauptamtliche Personal entlasten könnte. Perspektivisch würde ich mir aber wünschen, dass das ehrenamtliche Engagement gleichgewichtig neben hauptamtlichen Tätigkeiten stehen sollte. Das Ehrenamt kann sich dann voll entfalten, wenn es durch das Hauptamt kontinuierlich begleitet, unterstützt und nachhaltig gefördert wird. Dann kann das Ehrenamt ergänzende Leistungen erbringen, die in dieser Form von hauptamtlichen Pflegekräften nicht zur Verfügung gestellt werden können. Pflegebedürftige haben auch soziale Bedürfnisse. Sie brauchen Menschen, die sich für sie Zeit nehmen, zuhören, Gespräche führen, Spaziergänge machen und praktische Hilfen, z.B. einkaufen oder Begleitung zu Terminen, geben. Dies wird wesentlich dazu beitragen können, u.a. Einsamkeitsgefühle oder depressive Verstimmungen zu mildern. Konzeptionelle Überlegungen zur Pflege der Zukunft sollten deshalb die Potentiale, die im bürgerschaftlichen Engagement liegen, stärker berücksichtigen.

Information: Das Bielefelder Modell

Für das Leben im Alter gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Helmut Breitkopf hat sich für das Bielefelder Modell am Standort Schildesche entschieden. Das Konzept bietet ihm zahlreiche Vorteile, die ihn überzeugt haben. Dazu zählen:

  • 24-stündige Erreichbarkeit der Pflegekräfte; barrierefreie Wohnungen; Individuelles Wohnen mit garantierter Versorgungssicherheit im Bedarfsfall; ein Wohncafé das barrierefrei erreichbar ist und auch trotz Pflegebedürftigkeit dazu einlädt, am Leben teilzunehmen; weiterführende Versorgungsangebote; u.v.m.

Interessierte können sich unter www.bgw-bielefeld.de über das Angebot informieren und Kontakt suchen.

Helmut Breitkopf führt durch das Wohncafé in der Wohnanlage Am Pfarracker" in Bielefeld-Schildesche.